Andreas Bock

Der Plan

Seit 2020 wird die Sehnsucht nach der blauen Ferne meine hauptsächliche Motivation. Die Regattaambitionen treten etwas in den Hintergrund und die Ostsee scheint langweilig. Reisen auf Nordsee und Atlantik in den Jahren 2020, 2021 und 2022 bestätigen die Seetüchtigkeit der KARIN. Die Präferenzen der Miteignerin sind unverändert limitiert auf drei Wochen, wenig Wellen, mäßigen Wind und sommerliche Temperaturen. Der Plan fügte sich zu einer kombinierten Reise: Ich würde das Boot von Berlin nach Wedel trailern und von dort einhand nach Bordeaux segeln. Monika würde von Berlin nach Bordeaux fliegen, um gemeinsam drei Wochen zwischen Bretagne und Galizien zu verbringen. Danach würde ich einhand weiter auf die Kanaren segeln, und im Januar 2024 weiter in die Karibik.

KARIN und ihre Ausrüstung

KARIN wurde 2017/2018 als Eigenbau aus den Negativformen des Jollenkreuzers JK28 gebaut. Sie ist 8,50 m lang, 2,55 m breit, geht 1,95 m tief. Sie wiegt leer 1.140kg, davon sind 440kg Ballast. Anders als der Jollenkreuzer ist KARIN komplett aus Carbon-Sandwich gebaut und hat eine feste Kielflosse mit Bleibombe. Das bringt positive Stabilität bis 125° Krängung. Fünfzehn durch Schotten getrennte Räume sollen KARIN unsinkbar machen. Sie hat einen NKE-Autopiloten, Solarpanele 165Wp und eine 12V 100Ah LiFe Batterie. Seit 2023 neu an Bord sind ein SailingGen Hydrogenerator, ein Jet-Boil Wasserkocher, ein Garmin InReach für die Kommunikation via Satellit, ein Survival Suit und ein Bimini.

Der Hydrogenerator hängt in den Notruderbeschlägen. Er lässt sich nach Steuerbord, Backbord oder
bei Nichtgebrauch nach Oben schwenken und liefert ein bis zehn Ampere Ladestrom.

Mit einer App kann ich Füllstand und aktuelle Ladung und Entnahme der Batterie auf dem Mobiltelefon überwachen. Ladung und Verbrauch werden saldiert. Der Bedarf beträgt etwa 70Ah/24h. Hier ist der Hydrogenerator recht fleißig. Die Solarpanele bringen nur etwa 10Ah/24h. Als Backup habe ich eine kleine, vollgeladene Gel-Batterie.

Navionics-Seekarten laufen auf zwei unabhängigen Systemen: In einem wasserdichten Caterpillar-Mobiltelefon und im fest eingebauten GPS-Kartenplotter.

Ebenfalls zur Ausrüstung gehören ein UKW-Funkgerät mit AIS-Empfang, UKW-Handfunke, pyrotechnische Seenotsignale, Notruder, EPIRB, Rettungsinsel und ein 2m-Gummitender. Motor ist ein 3-PS Yamaha Außenborder, der bei Bedarf im Schacht unter dem Cockpitboden installiert wird. Sobald der Motor seinen Job getan hat, wird er in die Backskiste gestaut. In den Schacht kommt ein Styrodurklotz, damit der Rumpf außen völlig glatt ist.

KARIN in Wedel mit frischer Nautix A4 T-Speed Unterwasserfarbe. Weiß ist viel eleganter.

Reiseroute

Die Reise führte ab 24.Juli einhand über Cuxhaven, Wilhelmshaven, Lauwersoog, Leeuwarden, Harlingen, Den Helder, Boulogne-sur-mer, Dieppe, Fecamp, Dielette, Roscoff, Sainte Marine, Lorient, Port Medoc und die Gironde aufwärts via Pauillac nach Bordeaux, insgesamt etwa 1.089 sm.

„Staande Mastroute“ von Lauwersoog nach Harlingen mit 3PS gegen 30kn Westwind. Wilder Ritt mit
Nordwest bis 40kn von Den Helder nach Boulogne sur Mer.

Fiese 100sm-Kreuz gegen 20kn Südwest von Dielette nach Roscoff.

Von Brest bis Bordeaux wurde der Wind kooperativ.

KARIN in Bordeaux vor der Cité du Vin.

Das war in Bordeaux. Sie wollte es mir nicht glauben.

Das Damenprogramm begann am 26. August in Bordeaux, die Garonne und Gironde abwärts nach Pauillac, Port Medoc, Royan, St.Denis d´Oleron, La Rochelle, Ars en Ré, Les Sables d´Olonne, Port Joinville / Ile de Yeu, und endete mit einem Langschlag über die Biskaya nach A Coruna. Das waren etwa 550sm bei Sommerwetter und leichten bis mäßigen Winden aus wechselnden Richtungen.

An der französischen Westküste ist die Erinnerung an den zweiten Weltkrieg sehr präsent. Überall findet man Bunker, Befestigungsanlagen und Gedenkstätten. Nach der alliierten Landung in der Normandie konnten sich deutsche Truppen in einigen Küstenorten noch lange halten. Um die Deutschen zu vertreiben, zerstörten die Alliierten Le Havre und Royan. Beide Städte sind heute nach dem Wiederaufbau merkwürdige 50er-Jahre-Architekturmuseen. In La Rochelle ergaben sich die deutschen Besatzer erst mit der Kapitulation am 7. Mai 1945. Vorher wurde ein inoffizielles Stillhalteabkommen getroffen, so dass La Rochelle unzerstört blieb. Die Altstadt mit dem Vieux Port ist sehr schön.

Port des Minimes La Rochelle.

Etwas südwestlich der Altstadt ist die gigantische Marina „Les Minimes“ mit 3.500 Liegeplätzen.

Der Atlantik ist unfassbar BLAU.

In Les Sables d´Olonne liegen vier historische „Pen Duick“ des Nationalhelden Eric Tabarly. In Lorient
liegt eine weitere „Pen Duick“, und dazu noch ein ganzes Tabarly-Museum. Bemerkenswert ist die
Pen Duick V: Flach, leicht, breit, mit Wasserballast ist sie ein Urahn der heutigen IMOCA 60.

Die Einfahrten vieler Häfen an der französischen Westküste haben Wassertiefen ÜBER Kartennull,
hier zum Beispiel die Einfahrt nach Ars en Ré.

Bei Hochwasser passt das. Man muss vorher prüfen, ob das nächste Hochwasser beim Auslaufen
auch wieder hoch genug ausfällt. Ein Anruf beim Hafenmeister bringt Klarheit.

Die Querung der Biskaya nach A Coruna war schwachwindig, mehrmals auch Flaute. Dann nahmen
wir die Segel runter zum Schlafen oder Baden.

Von A Coruna segelte ich einhand in neun Tagen nach Las Palmas de Gran Canaria. Ich wählte eine Route weit westlich der Küste mit 4.000m Wassertiefe, um die ruderknabbernden Orcas zu meiden. In Las Palmas gab es wegen der ARC leider keinen freien Liegeplatz, so dass ich weiter segelte bis Pasito Blanco im Süden von Gran Canaria. Das waren etwa 1.050sm.

Auf diesem Langschlag nutze ich das Garmin InReach. Das Gerät kann 160-Zeichen-Nachrichten übertragen. Mein Freund Lumpi erhielt alle 24h eine Positionsmeldung und meine aktuelle Windrichtung und -Stärke. Er antwortete, nachdem er im Internet mit dem Wettermodell ECMWF auf windy.com „mein“ Wetter geprüft hatte, zum Beispiel wie folgt:

Und so kam es. Die Vorhersagen stimmen immer, nur manchmal ist die Zeit oder der Ort abweichend. Je komplizierter die Vorhersage und je weiter in der Zukunft, desto größer sind die Abweichungen. Das Verfahren ist viel einfacher als Wetterdaten aufs Schiff zu holen. Unterwegs gibt es als Reaktion auf die Wettervorhersage nur vier Optionen: Weiterfahren, Kursänderung nach Backbord, Kursänderung nach Steuerbord , oder umkehren. Das kann der Wetterberater von Land mit 160 Zeichen gut kommunizieren.

Essen und Trinken

Rind- oder Thunfischsteak ist lecker im Hafen. Frisch gekauft schnell in die Pfanne. Auf See
funktioniert das leider nicht, mangels Kühlung, mangels Topfhalter.

In St.Denis d´Oleron kauften wir Austern aus dem Austernautomat.

Wein wächst dort auch.

Die Pütz wird vielfältig verwendet.

Gefriergetrockneter Eintopf lässt sich auf See gut zubereiten. 400ml Wasser kochen, aufgießen, umrühren, 8min warten, lecker warmes Essen, kein Abwasch. In Lorient war ich shoppen bei https://www.lyophilise.fr/ die beliefern die Mini650 und IMOCAs.

Heute Rentiereintopf, rechts ist der Jet-Boil-Kocher halbkardanisch in den Kiel eingesteckt.

Einhand segeln

Draußen auf dem Atlantik ist nur wenig Schiffsverkehr, etwa ein bis zwei Schiffe pro Tag. Die Schiffsführung, Strom und Schlaf erfordern Aufmerksamkeit. Mir war nie langweilig. Von 2100 bis 0900 konnte ich etwa sechs Stunden in Etappen schlafen. Beim Schlafen stelle ich mir einen AIS-Alarm mit dem Kriterium dass ein Schiff innert 30 Minuten mir näher kommt als 3 sm.

In der Nordsee und im Kanal kann ich maximal 36h beziehungsweise eine Nacht einhand segeln. Schiffsverkehr, Tonnen und Windparks verhindern ausreichend Schlaf.

Dummheit, Pech und Pannen

Das Fenster im Großsegel ist kaputt gegangen. Die Segelmacherin in Las Palmas hat es mit Dacron repariert. In Bordeaux bollerte Treibholz mit 3kn Strom gegen das Boot aber alles blieb heil.

Nachts zwischen Fecamp und Cherbourg fing ich unter Gennaker eine stattliche Fischerboje. Die Leine hing quer vor dem Kiel, das Boot wurde sanft gestoppt. Ich nahm die Segel runter, orientierte mich mit meinem Handscheinwerfer, holte die Leine der Fischerboje mit dem Bootshaken nach oben, schnitt sie mit dem Messer durch und kam wieder frei. Die Boje auch.

Die Kabelverschraubung am Hydrogenerator habe ich abgebrochen beim Hochholen des Generators. In Lauwersoog gab es Ersatz vom Elektriker. In Lauwersoog versagte auch das fest eingebaute GPS. Ursache war eine lockere Steckverbindung.

Mit kleinen Aderstückchen verzinnter Litze konnte ich die Passung von Stecker und Buchse enger
machen und die 12V-Stromversorgung wiederherstellen.

Seekrankheit

Seekrankheit ist eigentlich nicht mein Ding, aber nach dem Auslaufen aus Cuxhaven gab es vor Scharhörn das volle Programm. Ich war wohl verängstigt wegen des frischen Westwinds und der wilden Wellen. Seekrankheit wird zum echten Problem wenn man einhand nicht mehr fit genug ist für die Führung des Bootes. Ich bin nach Wilhelmshaven abgebogen und es wurde wieder besser. Auch nach dem Auslaufen aus A Coruna musste ich die Fische füttern. Sechs Stunden später schmeckte mir das Essen wieder. Ich werde das Thema weiter ignorieren.

Tiere

Kegelrobben auf dem Jollenslip in Cuxhaven. Fette Raubtiere, bestimmt mehr als 100kg schwer. Sie kuckten unfreundlich und ich hielt Abstand.

Ein kleiner fliegender Fisch ist auf KARIN gelandet. Größere Exemplare sehen aus wie Heringe und fliegen plötzlich 1m hoch und 50m weit übers Wasser. Die Flügel sind transparent.

Solche Wale haben wir mehrfach in der Biskaya gesehen. Die Länge vor der Rückenflosse ist etwa 10m, hinter der Rückenflosse weitere 5m. Wenn sie auftauchen, machen sie ein Geräusch als ob man den Stöpsel aus einem Schlauchboot zieht. Dann sind sie wieder verschwunden.

Delfine in Gruppen von 5-15 Tieren sieht man ab den Kanalinseln jeden Tag. Manchmal haben sie einen bestimmten Kurs und ignorieren KARIN. Oder sie haben Zeit und spielen einige Minuten um das Boot herum. Vielleicht juckt es am Rücken und sie wollen sich am Kiel schubbern. Besonders seltsam ist es bei Nacht, dann hört man zuerst ihre Atemgeräusche. Mit Meeresleuchten sehen sie aus wie Neontorpedos. Manchmal kann man Ihre Kommunikation innen im Boot hören. Das Echolot habe ich immer ausgeschaltet, um sie nicht zu stören.

Zweimal habe ich eine komische senkrechte Wackelflosse gesehen, das waren wohl Mondfische (Sunfish) die langsam dicht unter der Wasseroberfläche schwimmen und darauf hoffen, dass Vögel ihnen die Parasiten aus der Haut picken.

Einen Tag nördlich von Gran Canaria habe ich eine Schildkröte gesehen, die war so groß wie ein Klodeckel.

CO2 Footprint der Reise

Der Bordstrom wurde komplett aus den Solarpanelen und mit dem Hydrogenerator gewonnen. Landstrom wurde nicht benötigt, weder Kabel noch Ladegerät waren an Bord. Der 3-PS Außenborder verbrauchte 34 Liter Benzin. Dafür brachte er uns mehrfach die letzten Meilen bei Flaute in den Hafen, wurde bei Hafenmanövern genutzt und hat vor allem die Kanalfahrt von Lauwersoog nach Harlingen ermöglicht.

34 L * 2,37 kg/L = 81 kg CO2

Beim Autofahren mit Trailer auf der Strecke Berlin-Wedel –Berlin wurden 50 Liter Diesel verbrannt:

50 L * 2,65 kg/L = 133 kg CO2

Das macht zusammen 81 kg + 133 kg = 214 kg CO2.

Die CO2-Faktoren stammen von https://www.helmholtz.de/newsroom/artikel/wie-viel-co2-steckt-in-einem-liter-benzin/. Spontan sieht das falsch aus, weil der CO2-Output größer ist als der Treibstoff-Input. Man kann das aber nachvollziehen. Aus dem Tank kommen Kohlenwasserstoffe, also Kettenmoleküle aus C und H. Bei der Verbrennung werden die Wasserstoffatome durch Sauerstoffatome aus der Luft ersetzt. Anhand der Molekulargewichte H=1, C=12, O=16 und der Dichte von Benzin 0,74 kg/L kann man überschlagen: 1 Liter Benzin 0,74kg / (12+1+1) * (12+16+16) = 2,33kg CO2 pro Liter Benzin. Diesel hat die größere Dichte mit 0,83 kg/L das ergibt 0,83 kg / (12+1+1)* (12+16+16) = 2,61kg CO2 pro Liter Diesel. Übrigens, nichts geht verloren. Die Wasserstoffatome aus dem Treibstoff verbinden sich mit Sauerstoff aus der Luft zu H2O.

Die Flüge verursachten CO2 anteilig für eine Person

  • Berlin -> Bordeaux 132 kg
  • A Coruna -> Madrid 68 kg
  • Madrid ->Berlin 130 kg
  • Las Palmas -> Berlin 258 kg

Der CO2-Footprint für die kombinierte Reise war also: 214 kg + 132 kg + 68 kg + 130 kg + 258 kg = 802 kg CO2. Das ist 25% weniger als die 1.073 kg der vorjährigen kombinierten Reise zu den Azoren. Die Zeit auf dem Boot verursacht kaum mehr CO2 als wenn man zu Haus bleiben würde. Die niedrigen Preise für Flüge bieten keinen Anreiz, CO2 zu sparen. Quelle: https://www.icao.int/environmental-protection/CarbonOffset/Pages/default.aspx

Fazit

Zu zweit erlebten wir einen schönen Segelurlaub an der französischen Westküste und eine entspannte Querung der Biskaya. Die Weiterfahrt von A Coruna nach Gran Canaria bestätigte, dass KARIN und ich 24/7 nachhaltig funktionieren. Es ist ein schönes Gefühl von Freiheit, dass ich große Distanzen segeln kann. Ich freue mich auf die Überfahrt in die Karibik zur https://www.heinekenregatta.com/ und Antigua Sailingweek https://sailingweek.com/

KARIN hat Pause bis Januar 2024 in Pasito Blanco / Gran Canaria.

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