Andreas Bock

Der Plan

Die Reisen 2020 und 2021 hatten die Seetüchtigkeit der KARIN bestätigt. Verbunden mit reichlich Freizeit bestärkte das meine Sehnsucht nach der blauen Ferne. Die Präferenzen der Miteignerin waren jedoch limitiert auf drei Wochen, wenig Wellen und mäßigen Wind. Der Plan fügte sich zu einer kombinierten Reise: Ich würde das Boot von Berlin nach Wedel trailern und von dort einhand zu den Azoren segeln. Monika würde von Berlin nach Ponta Delgada fliegen. Dann würden wir zusammen drei Wochen im Azorenhoch von einer Insel zur nächsten segeln und viel Zeit in den Häfen verbringen. Danach würde ich einhand zurück segeln.

KARIN und ihre Ausrüstung

KARIN wurde als Eigenbau aus den Negativformen des Jollenkreuzers JK28 gebaut. Sie ist 8,50m lang, 2,55m breit, geht 1,95m tief. Sie wiegt leer 1.110kg, davon sind 440kg Ballast. Anders als der Jollenkreuzer ist KARIN komplett aus Carbon-Sandwich gebaut und hat eine feste Kielflosse mit Bleibombe. Das bringt positive Stabilität bis 125° Krängung. Fünfzehn durch Schotten getrennte Räume sollen KARIN unsinkbar machen. Sie hat einen NKE-Autopiloten, Solarpanele 165Wp und eine 12V 100Ah LiFe Batterie.

Navionics-Seekarten laufen auf zwei unabhängigen Systemen: In einem wasserdichten Caterpillar- Mobiltelefon und im fest eingebauten GPS-Kartenplotter.

Fest eingebautes UKW-Funkgerät mit AIS-Empfang, UKW-Handfunke, pyrotechnische Seenotsignale, Notruder, EPIRB, Rettungsinsel und ein 2m-Gummitender gehören ebenfalls zur Ausrüstung. Motor ist ein 3-PS Yamaha Außenborder, der bei Bedarf im Schacht unter dem Cockpitboden installiert wird. Sobald der Motor seinen Job getan hat, muß er in die Backskiste gestaut werden. Den Schacht füllt dann ein Schaumstoffklotz, so dass der Rumpf außen völlig glatt ist.

Das Gesamtgewicht einhand mit Ausrüstung und Proviant entspricht etwa dem Regattamodus mit 4er Crew. Nicht an Bord: Papier-Seekarten, Hafenhandbücher, Pump-WC, Radar, Heizung, Kühlschrank, Einbaudiesel, Rollfock. Das wäre alles viel zu schwer.

Reiseroute

Die Hinreise führte von Berlin mit Auto und Trailer nach Wedel, elbabwärts nach Wangerooge (Anker), Den Helder, Scheveningen, Dunkerque, Boulogne-sur-mer, Newhaven, A Coruna, Ponta Delgada. Bis Boulogne-sur-mer waren westliche Winde, hoch am Wind oder Kreuz. Dann kam eine günstige Phase mit Nordost bis zur Mitte der Biskaya, gefolgt von West bis Nordwestwind bis Ponta Delgada. So gelang die Hinreise über 1.963sm in einer Segelzeit von 348,5h verteilt auf 26 Tage.

Die Rückreise verlief von Ponta Delgada nach Brest, Roscoff, Cherbourg, Boulogne-sur-mer, Nieuwpoort, Vlissingen, Scheveningen, von dort mit Auto und Trailer nach Berlin. Die Rückreise begann mit Flaute von hinten, dann war durchgängig schwacher bis mäßiger Nordost. Vor Cap Finisterre war allerdings permanent starker Nordost, so dass die Rückreise nicht über A Coruna führen konnte.

So kreuzte ich einen großen, nordwestlichen Bogen nach Brest. Das war mit 1.150sm in 13 Tagen die längste Etappe.

Am 28.August in Scheveningen war für die nächsten 10 Tage immer noch strammer Nordost angesagt. Nordsee im September wollte ich vermeiden. Ich holte Auto und Trailer aus Wedel. Die Rückreise war insgesamt langsam. 1652 sm mit einer Segelzeit von 419,5h verteilt auf 28 Tage.

Auf den Azoren

Wir besuchten Ponta Delgada, Angra do Heroismo, Horta, Praia de Graciosa, Angra do Heroismo, Ponta Delgada. Der Wind war durchweg schwach bis mäßig aus wechselnden Richtungen. Das waren 358sm in einer Segelzeit von 78h verteilt auf 20 Tage.

Die Azoren sind ein Außenposten europäischer Zivilisation mitten im Nordatlantik. Die Inseln sind vulkanisch. Lava quoll aus dem Meeresboden bis sich Inseln bildeten. Die Inseln sind meist 400 bis 1.000m hoch und grün, sehr grün.

Der höchste Vulkan ist mit 2.000m der Pico. Er befindet sich gegenüber Horta. Er ist im Hintergrund immer präsent und wirkt wie ein Bild an der Wand. Die Schöpfung sieht irgendwie frisch und neu aus. Die Azoren sind nicht so rundgeschliffen, kaputt gefroren und erodiert wie Nordeuropa nach der Eiszeit.

Laufen und Radfahren ist grundsätzlich anstrengend, denn es geht vom Ufer immer stramm bergauf. Deshalb ist das Auto das bevorzugte Verkehrsmittel. Das Klima im Sommer ist mild, oft bedeckt bei 22° bis 24° oder sonnig bei 26°bis 28°C. Häufig regnet es, aber jeweils nur einige Minuten. Bis es wieder aufhört wird man nicht wirklich nass. Das Wasser ist blau und klar bei 22°C. Es ist angenehm zu baden aber Zugang zum Meer bieten nur wenige Badestellen.

Ansonsten sind die Ufer steil und unwegsam. Im Meer gibt es viele Fische und Delfine und Wale. Wale beobachten, schnorcheln und tauchen ist populär.

Weil die Ufer so steil abfallen macht Hoch- oder Niedrigwasser keinen Unterschied. Strömungen sind schwach. Die Navigation ist einfach: Jede Insel hat einen Hafen, Land ist Land und Wasser ist schiffbar.

Die Einwohner sind Portugiesen. Sie sind grundsätzlich freundlich, unaufgeregt und ohne Eile. Alle können Englisch. Wenn sie untereinander ihre Muttersprache sprechen kann man gar nichts verstehen. Die primäre Wertschöpfung besteht aus Landwirtschaft, Tourismus und Fischfang.

Monika wurde bei Ihrer Ankunft mit einer Art Rosenmontagszug begrüßt. Die Bauern hatten ihre schönsten Kühe vor festlich geschmückte Wagen gespannt. Rindfleisch, Milch und Käse werden in großem Umfang produziert. Die bergigen Wiesen sind gut nutzbar als Weideland.

Rind- oder Thunfischsteak lassen sich in der einflammigen Bordküche gut zubereiten.
Touristen kommen vom portugiesischen Festland, aus USA, England, Frankreich und Deutschland,

jedoch nicht aus Spanien. https://www.visitazores.com/de

Es ist auch möglich, dort zu chartern. Aufgefallen waren mir Yachten von https://sailazores.pt/index.php/en/ und https://www.puresailazores.com/

Alle Fußwege sind mit Mustern gepflastert.

Einhand segeln

Es ist nicht gut, wenn der Mensch allein ist. So ähnlich steht es in der Bibel. Auf KARIN war ich zwar allein, aber das Meer war ja immer da. Mir war nie langweilig. Die Schiffsführung und das Management der knappen Ressourcen Strom und Schlaf erforderte Aufmerksamkeit. Wobei Schlaf eigentlich bedeutete: ICH musste fit bleiben mit ausreichend Schlaf, Essen, Trinken, Körperpflege und über den Rest mag ich nicht berichten. Die längste Etappe war 13 Nächte von Ponta Delgada nach Brest, relativ ereignisarm. Viel Schlaf, kein Alkohol, kein Internet waren reinstes Detox. Auf den täglichen Selfies sah ich immer besser aus.

Zum Schlafen stellte ich mir einen AIS-Alarm mit dem Kriterium dass ein Schiff innert 30 Minuten mir näher als 5 sm käme. Aber nördlich der Azoren war nur wenig Schiffsverkehr, mal ein Schiff pro Tag mal keins. Erst an der Schelfkante in der Biskaya waren Fischer zuhauf, gleichzeitig etwa 10-15 auf dem AIS-Display.

Seltsamerweise war die gefühlte Einsamkeit größer in der Nähe von fremden Menschen. Mit Mobilfunkabdeckung gab es aber Kontakt zu Familie und Freunden über Telefon, Whatsapp und Signal. Deren Feedback hat mir sehr geholfen, Danke.

Alleinsein war ein guter Ansporn, freundlich zu sein und Kontakte zu knüpfen. Ich wurde oft angesprochen was für ein schönes Boot ich da hätte. Im Waschsalon ließ ich mir helfen und am nächsten Tag war ich schon der Experte. Ein besonderer Ort war die Bar des Clubs in Boulogne-sur- mer. Der Club besteht aus Seglern, Anglern, Tauchern und Senioren. Dazu kamen die Gäste der Marina. Ich wurde mit Handschlag begrüßt, konnte von meiner Reise erzählen und hörte eine Geschichte vom Fund einer Wasserleiche was dort häufig passiert weil Flüchtlinge auf dem Weg nach England umkommen. In Roscoff traf ich einen alten DN-Eissegelkumpel. Er segelte mit seiner Frau gen Süden. Wir hatten einen schönen Nachmittag mit drei Dutzend Huitres No.2 vom Fischgroßhandel.

In der Nordsee und im Kanal konnte ich maximal 36h oder eine Nacht einhand segeln. Schiffverkehr, Tonnen und Windparks forderten viel Aufmerksamkeit, so dass ausreichend Schlaf nicht möglich war.

Vor Calais waren 33 Objekte auf der Danger List des AIS. Auch einige Tonnen senden AIS-Signale.

Schön wurde es westlich des Cap de la Hague. Ab dort war das Meer nicht mehr grau wie die Nordsee und der Kanal sondern unfassbar BLAU.

Dummheit, Pech und Pannen

Kaputt gegangen sind: Der Verklicker, der Mastfuß, das mobile Solarpanel, die zweitoberste Segellatte, das Bypass-Ventil der Hydraulik des Autopilot-Antriebs und ein Anschlussstutzen zur Lukenentwässerung. Die Fockhalsbefestigung riss aus dem Vordeck. Die Ruderlager entwickelten Spiel. Diese Defekte konnten mit Bordmitteln repariert oder ignoriert werden.

Ruderlager und Ruder sind wieder drin. 5m Tidenhub helfen enorm.

Beim Auslaufen aus Den Helder fuhren wir mit frischem Westwind und ablaufendem Wasser durchs Marsdiep auf die Nordsee. Es kam natürlich ordentlich Wasser an Deck. Normalerweise kein Problem, doch ich hatte die Vordecksluke nicht richtig verschlossen. Mist! Alles nass! Mit Seewasser! In Scheveningen brauchte ich einen Extra-Hafentag zum Waschen und Trocknen.

Aufregender war die fünftägige Etappe von Newhaven nach A Coruna. Beim Ablegen mit ablaufendem Wasser blieb KARIN nach wenigen Metern stecken. Ein 500-PS-RIB versuchte freizuschleppen aber vergeblich. Los ging es erst mit auflaufendem Wasser. Später, in der Biskaya, in finsterer Nacht mit 25-35kn Westwind und übelster Welle, ging eine 2-3 Sekunden lang anhaltende Vibration durchs Boot. Ich befürchtete, die Verbindung zwischen Kielbombe und Kielflosse wäre durch den Freischleppversuch beschädigt. Für Kielab mit nachfolgender Kenterung hatte ich keinen Notfallplan. Das Grabbag, UKW-Funke und EPIRB waren in der Kabine, die Rettungsinsel im Cockpit unter dem Traveller. So steuerte ich bis zum Morgengrauen vorsichtig von Hand mit nur 2-3 kn Fahrt. Es waren noch reichlich 100sm bis A Coruna. Der junge Morgen brachte die Zuversicht zurück. Ich packte UKW-Funke und EPIRB ins Grabbag, staute es griffbereit im Cockpit und segelte so schnell wie möglich nach A Coruna. Dort war ich angemessen fertig mit den Nerven.

Nach der Dusche und dem Essen im Restaurant wurden meine Knie weich. Ich ging zu Boden. Die Leute halfen mir freundlich wieder auf die Füße. Ich ging zurück zum Boot und schlief gründlich aus. Am Folgetag prüfte ich Innen im Boot die Anlaminate der Schotten und Stringer. KARIN wurde mit dem 185-EURO-Kran an Land gehoben um den Kiel zu inspizieren. Entwarnung! Es gab keinen strukturellen Schaden. Die Carbon-Kielflosse ist elastischer als eine Stahlflosse. Die Bleibombe schwingt, aber das ist so gesund wie eine Airbus-Flügelspitze.

In Angra do Heroismo ankerten wir vor der Mole. Wir waren nachts bei Flaute eingetroffen, hatten den 10kg-Rocna-Anker mit Motor rückwärts eingegraben. Am nächsten Tag waren wir in der Stadt, der Wind frischte auf, KARIN ging auf Drift und der Nachbar-Ankerlieger fing sie ein. Wir bedankten uns mit der besten Flasche Wein von der Azoreninsel Pico die wir kaufen konnten.

Mitten auf der Rückreise von Ponta Delgada nach Brest saß ich bei Sonnenschein im Cockpit. Lauer Wind, alles gut, doch da…. ein seltsam feines Geräusch, was mochte das sein? Das D2 Diagonalwant von der zweiten zur ersten Saling baumelte auf der Leeseite frei in der Atmosphäre! Segel runter und dann musste ich da hoch. Ich baute aus der Sitzducht des Tenders einen Bootsmannsstuhl, zog ihn unter die erste Saling. Vom Kopf des geborgenen Großsegels bis zum Bootsmannsstuhl fehlte noch ein Zwischenschritt, dafür befestigte ich ein Bändsel zwischen Oberwant V1 und Unterwant D1. Zack war ich hoch, den Spanner wieder zugedreht und mit Kabelbinder gesichert. Das hätte schlimmer kommen können…nach einer Wende auf der Luvseite… oder nachts.

CO2 Footprint der Reise

Der Bordstrom wurde komplett aus Solarpanelen gewonnen. Landstrom wurde nicht benötigt, weder Kabel noch Ladegerät waren an Bord. Der 3-PS Außenborder verbrauchte 23 Liter Benzin. Dafür brachte er uns viermal die letzten Meilen bei Flaute in den Hafen, wurde bei Hafenmanövern genutzt und hat den Tender angetrieben: 23L * 2,37kg/L = 55kg CO2. Beim Autofahren mit Trailer auf der Strecke Berlin-Wedel – Scheveningen – Berlin wurden 140 Liter Diesel verbrannt: 140L * 2,65kg/L = 371kg CO2. Das macht zusammen 55kg+371kg = 426kg CO2.

Die CO2-Faktoren stammen von https://www.helmholtz.de/newsroom/artikel/wie-viel-co2-steckt-in-einem-liter-benzin/. Spontan sieht das falsch aus, weil der CO2-Output größer ist als der Treibstoff- Input. Man kann das aber nachvollziehen. Aus dem Tank kommen nur Kohlenwasserstoffe, also C und H. Bei der Verbrennung werden die Wasserstoffatome durch Sauerstoffatome aus der Luft ersetzt. Anhand der Molekulargewichte H=1, C=12, O=16 und der Dichte von Benzin 0,74kg/L kann man überschlagen: 1 Liter Benzin 0,74kg / (12+1+1) * (12+16+16) = 2,33kg CO2 pro Liter Benzin.

Diesel hat die größere Dichte mit 0,83kg/L das ergibt 0,83kg / (12+1+1) * (12+16+16) = 2,61kg CO2 pro Liter Diesel.

Auch die Papiere des Autos zeigen einen ähnlichen CO2-Faktor: Sie versprechen 90g CO2 pro km das sind 9,0kg CO2/100km bei einem Verbrauch von 3,4L/100km. 9,0kg/3,4L = 2,65 kg CO2 pro Liter Diesel. Übrigens, nichts geht verloren. Die Wasserstoffatome verbinden sich mit Sauerstoff zu H2O.

Die Flüge BER-OPO-PDL-OPO-BER verursachten anteilig für eine Person 647 kg CO2. Dabei wurde das Kompensationsversprechen von Easyjet für die Teilstrecke BER-OPO-BER nicht berücksichtigt. Quelle: https://www.icao.int/environmental-protection/CarbonOffset/Pages/default.aspx

Der CO2-Footprint für die kombinierte Reise war also: 426kg + 647kg = 1.073kg CO2

Fazit

Das Konzept der kombinierten Reise hat funktioniert. Zu zweit erlebten wir eine entspannte Zeit auf den Azoren. Für mich war es ein großartiges Gefühl von Freiheit, dass ich allein mit KARIN zu einer so weit entfernten Destination segeln konnte. Mein Horizont ist weiter geworden. Das Vertrauen in die Seetüchtigkeit der KARIN hat sich verfestigt. Meine Fitness scheint ausreichend für längere Etappen. Wenn ich nach 13 Tagen noch fit bin dann müssten 26 Tage doch auch möglich sein. Lösbare Defizite sind die Verbesserung der Stromversorgung und die Sattelitenkommunikation mit Wetterdaten.

Der Plan 2023-2024

Da geht noch was. Juni-Juli-August 2023 planen wir Wedel – Bretagne – Nordspanien –Portugal – Algarve, davon drei Wochen zu zweit in der Bretagne. KARIN soll von September 2023 bis Anfang Januar 2024 an der Algarve liegen und dann einhand via Gran Canaria nach Cape Verdes und weiter in die Karibik segeln. Dort gibt es von Anfang März bis Anfang Mai 2024 diverse Tagesregatten, die wir mit voller Crew bestreiten möchten. Das wird Freunde und/oder Clubkameraden motivieren, dorthin zu fliegen. Die letzte Regatta ist in Antigua https://sailingweek.com/ . Von dort soll es einhand via Bermudas und Azoren zurück nach Wedel gehen. So eine kombinierte Reise wäre ein guter Kristallisationskern für gemeinsame Abenteuer in der Karibik.

Berlin, im September 2022

Andreas Bock

https://www.kk28.org

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