Michaela Hampf

In diesem Jahr führte die Fahrtenabteilung des BYC erstmals einen Frauentörn durch. Nach den guten Erfahrungen mit Clubtörns in der Normandie, dem Englischen Kanal und der nördlichen Bretagne sollte es einmal mehr in das spannende Tidenrevier der südlichen Bretagne gehen. Unser Boot ist eine sportliche RM 1270, die in La Rochelle aus Epoxid-Sperrholz gebaut wird. Am Vortag des Törns fand sich unsere vereinsübergreifende Frauencrew in La Trinité-sur-mer ein: Annika und Mirja (VSaW), Cordula (SV 03), Silke aus Dresden und Wiebke und Skipperin Michaela (BYC). Sechs Frauen im Alter von 22-59 Jahren mit ganz unterschiedlicher Segelerfahrung, aber von Anfang an einem sehr guten Draht zueinander. Zur Vorbereitung auf das Revier hatten wir französische, britische und deutsche Revierführer, Seekarten, Gezeitenunterlagen, Cruising Guides und Pilot Books besorgt, konnten aber auch auf eigene Erfahrung aus früheren Törns zurückgreifen. Ein langes Telefongespräch mit dem Segler und Autor Wilfried Krusekopf, der seit Jahrzehnten in der Bretagne lebt und segelt, war ebenfalls hilfreich bei der Törnplanung.

29.7.2023 La Trinité-sur-mer

Im Laufe des Vormittags finden wir uns alle an Bord ein. Michaela war früh an Bord und hatte schon mal die Checkliste des Vercharterer abgearbeitet. Mirja, Cordula, Wiebke und Silke kümmern sich um den Einkauf. Währenddessen wartet Michaela mit Annika auf die Bootsleute zur Übergabe. Die verläuft professionell und ohne Hektik. Leider ist aber das Bugstrahlruder außer Betrieb, ein Ersatzteil sei frühestens in zwölf 12 Wochen zu erwarten. Immerhin bekommen wir dafür auf mehrfache Nachfrage einen kleinen Kugelfender ausgehändigt. Gegen 14 Uhr sind wir mit dem Verstauen des Proviants und der Taschen fertig und Michaela gibt eine ausführliche Sicherheitseinweisung. Jede bekommt eine Rettungsweste, öffnet sie und checkt sie durch.

Nun spricht nichts dagegen, mit dem ablaufenden Wasser zu einem ersten kurzen Schlag auszulaufen. Am Tonnenstrich geht es durchs Fahrwasser, mit Stielaugen vorbei an Maxi-Trimaranen und Muschelbänken und gegen 17 Uhr können wir Groß und Fock setzten und sind unterwegs zur Passage de la Teignouse, die die Baie de Quiberon mit der Biskaya verbindet. Der Wind frischt auf und gegen 19 Uhr setzt auch Strom gegen den Westwind, der mittlerweile mit 25 kn bläst und für ordentlich Welle sorgt. Wir sind ziemlich froh, um halb acht im Vorhafen von Le Palais auf der Belle-Île dem Rollen und Schlingern vermeintlich entgangen zu sein und hoffen auf ein bisschen Ruhe. Der einzige noch freie Päckchen-Liegeplatz an langer Kette und Mooring wäre allerdings gleich neben der Fähre und durch deren Schwell nicht ganz ungefährlich für unser Rigg und das des Nachbarn. Als uns der Hafenmeister nahelegt, wieder raus zu fahren und an die Mooring zu gehen, kommen wir seinem Vorschlag – wenn auch etwas widerwillig – nach. Zum Abendessen beruhigen sich Wind und Strom zwar wieder, aber der eine oder andere unserer Mägen braucht doch noch etwas länger.

30.7. Le Palais nach Lorient

Bei angenehmem Westwind setzen wir morgens noch an der Mooring das Groß. Ohne eine einzige Wende geht es dann mit guten 6 kn FüG nach Nordwesten, vorbei an der Île de Groix. Lorient, früher Sitz der französische Ostindien Kompagnie, ist durch den Handel mit Gewürzen, Seide und Gold aus den eroberten Gebieten Indiens zu Wohlstand und durch Napoleon und später die deutschen Besatzer während des Zweiten Weltkriegs zu militärischer Bedeutung gelangt. Auf dem Weg Richtung Mündung des Blavet passieren wir mehrere interessante Yachthäfen im Herzen des französischen Hochsee-Segelsports. Ein Anruf bei der Capitainerie hatte uns einen Liegeplatz im Stadthafen in Aussicht gestellt, wo wir um kurz nach 17 Uhr freundlich in Empfang genommen werden und Silke sogleich in einen Relings-Klönschnack mit den Päckchennachbarn verwickelt wird. Für den kommenden Tag kündigt Méteo France ein neues atlantisches Tief an und gibt eine Starkwindwarnung für den Englischen Kanal und die nordöstliche Biskaya heraus. Wir sind froh, uns jetzt in der Hochsaison einen schönen Liegeplatz für zwei Tage gesichert zu haben.

31.7. Lorient Hafentag

Der Stadthafen ist wirklich komfortabel, es gibt tolle Duschen, eine Waschmaschine und kostenlos Fahrräder zu leihen. Leider stehen wir dann beim Landgang – teils komplett in Ölzeug und Seestiefeln, teils in Flipflops und Shorts – vor den verschlossenen Türen der Markthalle. Also nutzen Annika, Cordula, Mirja und Wiebke die Zeit für einen Besuch in der Cité de la Voile, wo ein Museum u.a. der Segellegende Eric Tabarly huldigt. Am Nachmittag bekommen wir an Bord Besuch von Silkes Tochter und einem Freund, die gerade im Bretagne-Urlaub weilen. Dem jungen Mann schaukelt es an Bord aber zu stark und so verabschieden sich die beiden nach einem Glas Cola wieder. Am Abend folgen Silke und Michaela der Einladung unseres ortskundigen Nachbarn und gehen mit Seekarten und Bleistift bewaffnet auf die CALA MONDRAGO, ein schönes 50-Fuß Fahrtenschiff, auf dem die Eigner auch leben. Hervé Rochard liebt sein Revier und zeichnet enthusiastisch seine liebsten Ankerplätze und Geheimtipps in unsere Karte ein.

Dienstag 1.8. Lorient nach Concarneau

Am heutigen Tag können wir segeln, bevor für Mittwoch wieder 9 Bft. Wind angesagt sind. Also werden die Wecker gestellt und um halb acht fahren wir in der Morgensonne durch Lorient vorbei am U-Bootbunker und der Zitadelle, natürlich ebenfalls von Sebastien de Vauban entworfen. Zwischen der Île de Groix und dem Festland haben wir um die 20kn Wind und Welle aus West, kommen aber mit gerefftem Groß und Fock gut voran. Auf der Kreuz sind wir inzwischen ein eingespieltes Team und auch die Bedienung der Backstagen geht leicht von der Hand. Ganz kurz gucken auch mal die Sonne und ein paar Delfine nach uns, aber die meiste Zeit bleiben die Kapuzen fest ins Gesicht gezogen. Mehrere Gespräche über Telefon und UKW-Kanal 9 verschaffen uns einen Liegeplatz im Fischereihafen – leider ohne Strom und Wasser, dafür aber für den morgigen Starkwindtag optimal hinter den Stadtmauern der ville close, der mittelalterlichen, eindrucksvoll befestigten Altstadt geschützt.

Mittwoch 2.8. Hafentag Concarneau

Es bläst und bläst – nun geht es aber endlich in die Markthalle, Fisch kaufen! Wir verbringen den Tag mit Shopping, Sightseeing und Housekeeping. Michaela säubert den Log- und Echolotgeber, der dauernd falsche Tiefenalarme produziert, wir checken Öl und Bilge und wechseln die Gasflasche. Am Nachmittag werden in Erwartung des Springhochwassers die Fluttore in den alten Stadttoren geschlossen – wir müssen rüberklettern und über den Kai zu unserem Steg waten. Auf der anderen Seite der Mauern heult und weht es – der Hafenmeister des Yachthafens nimmt uns bei angesagten 4m Wellenhöhe vor dem Hafen jede Hoffnung auf einen Liegeplatz im übervollen Yachthafen, stellt uns aber in Aussicht, am Donnerstag morgen dort kurz Wasser und Strom zu bekommen. Inzwischen machen wir es uns an Bord gemütlich. Das Bad verwandelt sich in eine Ölzeugschleuse und Wiebke backt einen leckeren Aprikosenkuchen. Abends gibt es eine atlantische Bouillabaisse von Michaela.

Donnerstag 3.8. Concarneau nach Benodet

Heute führt uns ein kurzer Schlag in die Mündung des Odet. Statt wie empfohlen an die Mooring in Sainte Marine, gehen wir aber lieber in die gegenüberliegende Marina von Benodet, wo uns bei starkem Strom die Capitainerie wieder in Empfang nimmt und uns sogar eine Box zuweist. Benodet ist ein mondänes Seebad und uns bleibt genug Zeit für einen Einkauf per Klapprad, einen kleinen Museumsbesuch und Spaziergänge am Strand. Cordula kocht für den morgigen Tag einen provenzalischen Eintopf vor und der Duft des in Rotwein, Oliven und Kräutern geschmorten Rindfleischs erfüllt das Schiff.

Freitag 4.8. Benodet – Île de Penfret – Concarneau

An diesem Morgen wollen wir die Îles de Glénan ansteuern und nach einer Mittagspause vor Anker weiter zur Belle-Îlesegeln – allerdings kommt dann alles ganz anders und es sollte der schwarze Tag des Törns werden. Wir haben Springzeit (Koeffizient 104), also würden wir mangels Wassertiefe bei NW nicht tief ins Archipel hineinfahren können. Deshalb geben wir Gas und erreichen die Ostseite der Île de Penfret gegen 11 Uhr, gute zwei Stunden nach HW. Auf der 10m Tiefenlinie fällt der Anker, wird eingefahren und hält gut. Neben uns ankern mehrere Yachten zwischen den Felsbrocken unterhalb des Leuchtturms. Nach einem kurzen Bad (mit und ohne Neo) kommt in der Mittagssonne Cordulas Fleischgericht nebst vegetarischer Alternative auf den Tisch. Zu viert machen wir danach einen schnellen Landgang mit dem Dinghy, nur um kurz auf die andere Seite der Insel zu spähen. Wir laufen durch ein Segelschulcamp, dessen Hütten nach den großen Vorbildern wie Isabelle Autissier und Eric Tabarly benannt sind und erhaschen einen Blick auf die flachen Sände im türkisfarbenen Wasser auf der Westseite der Insel.  Dann aber schnell zurück, das Wasser kommt schon wieder und wie hoch haben wir eigentlich das Dinghy an Land gezogen?

Um halb drei ist alles klar, bei komfortablen 15 kn Wind aus NW setzen wir an der Mooring das Groß, bevor wir unter Maschine Anker aufgehen. Wir steuern aus der Bucht heraus, um die verbleibenden 20 sm zur Belle-Île zu segeln. Was als nächstes geschieht, zeigt einmal mehr, dass einem beim Segeln schlimme Dinge auch bei guter Vorbereitung und buchstäblich „heiterem Himmel“ passieren können. Bei einer Patenthalse, die sich bei Übergabe des Steuerrads auch nicht mehr abwenden lässt, wird Wiebke durch die überkommende Großschot buchstäblich von den Beinen gefegt! Binnen eines Sekundenbruchteils fällt sie zunächst auf die an Backbord sitzende Mirja und dann unglücklich mit dem Kopf auf die Traveller-Schiene im Cockpitboden. Großer Schock, Wiebke blutet aus einer Platzwunde und klagt über Schmerzen in der Schulter. Cordula und Michaela können die Blutung stoppen, während Annika zuverlässig auf Raumschotskurs im freien Wasser weiter segelt. Silke ruft auf Kanal 16 das MRCC CROSS Corsen, die sich sofort melden. Die Leitstelle vermittelt ein Gespräch mit einem Arzt, der uns dann am Telefon medizinisch berät. CROSS Corsen weist uns an, Kurs auf Pointe de Trévignon zu nehmen, wo die Seenotretter der Société nationale de sauvetage en mer (SNSM) eine Station haben. Um 16:15 Uhr kommt uns von dort ein Rettungskreuzer entgegen. Bei kleinster Fahrt gegen die Welle geht der große Kreuzer mit zwei kurzen Leinen längsseits und Wiebke kann selbst über die Reling steigen. Silke begleitet sie an Bord des Kreuzers und im Krankenwagen und hält uns auf dem Laufenden. Für unser Schiff ist es an der Pointe de Trévignon zu flach, so dass wir nach Concarneau gehen, wo Wiebke inzwischen im Krankenhaus versorgt wird. Fast sah es schon so aus, als könnte sie am gleichen Abend wieder an Bord sein, als die Ärzte dann doch entscheiden, sie für weitere Untersuchungen nach Quimper zu verlegen. Silke bleibt die ganze Zeit bei Wiebke und nicht nur die ist froh über Silkes ausgezeichnete Französischkenntnisse.

Samstag 5.8. Hafentag in Concarneau

Nach Einkauf und Waschaktion leihen wir uns einem Mietwagen und fahren zu Wiebke ins Krankenhaus. Erst umschichtig, dann doch alle miteinander verbringen wir den Nachmittag bei Kouign Amann, einem bretonischem Kuchen und Tapas in Wiebkes Zimmer.  Nach Ende der Besuchszeit und einem kleinen Rundgang in der Altstadt von Quimper hat niemand mehr Lust zu kochen und so gibt es schnelle und gute Moules Frites am Hafen.

Sonntag, 6.8. Concarneau nach Le Palais

Obwohl Wind aus NO bis O angesagt war, bleibt es bei flauschigem W um die 15 kn – Zeit, sich mit dem Gennaker zu befassen! Nach einem kleinen Mittagssnack können wir ihn dann ziehen. Kaum vorgeheißt, löst sich allerdings das Bändsel, das Bergeschlauch und den Heißstropp am Kopf verbindet schon wieder, so dass der obere Teil schon Luft bekommt, während der untere Teil noch in der Socke steckt. Also wieder runter und klarieren. Inzwischen kommen wir flott voran, aber ein Anruf bei der Capitainerie in Le Palais ergibt, dass sie den Hafen erst um 1930 öffnen wollen. Wir steuern also Sauzon an der Nordostseite der Insel an, um zu warten. In der Nachmittagssonne können wir gut erkennen, wie ein anderes Boot die absolut letzte freie Mooring-Boje aufpickt. Also weiter Richtung Le Palais, wo allerdings ebenfalls sämtliche Bojen belegt sind. Wir ankern also außerhalb des Fahrwassers südöstlich des Hafens, zusammen mit bestimmt zwei Dutzend anderer Boote. Wie Schäferhunde flitzen die Boote der Capitainerie vor dem Hafen hin und her, damit niemand einen Frühstart Richtung Innenhafen auch nur erwägen soll. Als wir schließlich Anker aufgehen wollen, hat der Wind auf knapp 20 kn aus NW aufgefrischt, während der Tidenstrom jetzt 2 Stunden vor HW quer dazu setzt. Das ist zu viel für unsere unterdimensionierte Ankerwinsch, so dass unsere Vorschiffscrew ihre liebe Mühe hat, den Anker sicher aufzuholen bis Annika es schließlich von Hand schafft. Dieser Umstand erweicht allerdings die Capitainerie, die uns einen Warteplatz im Innenhafen „devant la citadelle“ zuweist. Weil wir es sonst wohl nicht geglaubt hätten, fährt die Dame im MoBo der Capitainerie uns dann voraus und zeigt uns, was sie gemeint hatte: Genau vor der Zitadelle machten wir direkt an der von Meister Vauban errichteten Festungsmauer fest. Gegen 20 Uhr öffnete sich dann die Brücke und wir konnten ins bassin à flot von Le Palais einfahren und im übervollen Hafen im Päckchen festmachen. Den orangefarbenen Anleger nahmen wir dann gleich in der Abendsonne chéz Lucienne am Fischereipier.

Montag, 7.8. Le Palais zur Île de Noimoutier

Die Brücke soll heute von 0130 h vor bis 0100 h nach HW öffnen. Der Hafen ist praktisch trockenen Fußes zu überqueren und an der Nordseite hat überdies noch ein Frachter festgemacht und löscht Baustoffe. Pünktlich um acht Uhr beginnt das von den Leuten der Capitainerie in ihren MoBos eindrucksvoll choreografierte Hafenkino: Sie rufen präzise Anweisungen, übergeben Leinen, nutzen ihre Schlauchboote als Fender und schaffen es schließlich, in mehreren separaten Brückenöffnungen, alle Boote zentimetergenau aus dem engen Hafenbecken in den Vorhafen zu bekommen. Geschafft! Wir nehmen bei Sonnenschein, aber sehr wenig Wind aus NW Kurs auf die Île d’Yeu, nach Plan in einem langen Schlag nach Port-Joinville. Mit raumem Wind im einstelligen Bereich (Knoten, nicht Beaufort!) setzen wir einen Bullenstander und ziehen den Gennaker. Netterweise schwimmen die uns begleitenden Delfine so langsam wie wir segeln und wir können abwechselnd auf dem Vorschiff chillen. Am Nachmittag schleichen wir endlos am Windpark Banc de Guérande vorbei und fassen schließlich den Plan, nach L’Herbaudière auf die Salinen-Insel Noirmoutier zu gehen. Bei Coef. 79 können wir trotz flachem Fahrwasser ab 18 Uhr sicher den Hafen ansteuern und sind um 1930 fest an einem Stegkopf der Marina, gleich gegenüber den Fischkuttern.

Dienstag 8.8. Île de Noirmoutier nach Le Crouesty

Unser Ziel heute ist Piriac-sur-mer, 27 sm entfernt jenseits der Loire-Mündung und der Côte d’Amour. Der Hafen soll schön sein, liegt aber mit einem Süll geschützt hinter einem trockenfallenden Fahrwasser. Wir segeln vorbei an großen Pötten auf der Reede von St. Nazaire. Der Wind frischt stetig weiter auf, wir kommen flott voran und ohne Wende fast bis zur Pointe de Croisic. In der Abendsonne begleitet uns eine riesige Delfinschule (albernen Gerüchten zufolge der gesamte Abiturjahrgang). Nach unserem genau ausgetüftelten Plan kommen wir mit unserem Tiefgang erst um 20:45 Uhr durch das Fahrwasser von Piriac, obwohl das Süll von 18:25 bis 00:00 Uhr öffnet. Ankern geht nicht und als dann noch der Wind auf NW dreht und der Strom gegenan zu laufen beginnt, beschließen wir, stattdessen weiter zu segeln und Le Crouesty am Eingang des Golfe du Morbihan anzusteuern. Nach einem schönen Sonnenuntergang und machen wir Anbruch der Dämmerung uns und das Boot bereit für eine Nachtansteuerung. Dank des Sektorenfeuers der Pointe de Navalo und eines Richtfeuers in Le Crouesty ist die Einfahrt gut anzusteuern. Im Fahrwasser selbst liegen allerdings viele unbeleuchtete Tonnen, so dass sich Cordula mit dem Strahler vors Vorstag klemmt und Rudergängerin Annika den Weg durchs Fahrwasser leuchtet. Noch vor Mitternacht sind wir im Päckchen in der Marina fest.

Exkurs Tidennavigation: Obwohl dieGezeiten was Tidenhub und Strom angeht in der südlichen Bretagne deutlich handhabbarer sind als in der nördlichen, gehören auch hier die britischen und französischen Strömungsatlanten zur meistkonsultierten Literatur an Bord. Der stärkste Strom setzt in diesem Teil des Reviers im Golfe du Morbihan, aber auch andernorts bekommt man bei richtiger Planung oft glatte 3-4 kn auf der Logge „geschenkt“. Umgekehrt ist es sinnvoll, Wind-gegen-Strom-Situationen wann immer möglich zu vermeiden. Auch bei Windstärken die normalerweise nicht kritisch sind, kann dann schnell eine kabbelige, kurze und steile Welle entstehen. Bei den vielen ganz oder teilweise trockenfallenden Häfen ist unser Tiefgang von 2,25m schon ein limitierender Faktor, der genaue Planung erfordert.

Besonders bewährt hat sich dabei die App marée info, die nicht nur die Zeiten und Höhe der Gezeit und deren Dauer, sondern auch wie in Frankreich üblich, die durch die Parameter des Mondes und der Sonne verursachte Amplitude jeweils mit einem Koeffizienten zwischen 20 und 120 angibt. Tiden mit einem coéf. über 100 werden als grand marée, als große Gezeit bezeichnet. Praktischerweise nimmt einem die App viel Rechnerei ab, indem sie auch die HdG zu einer bestimmten Uhrzeit, die Zeit einer bestimmten maximalen oder minimalen Höhe ausgibt und auch gleich noch die Zwölftel des Tidenhubs anzeigt.

Mittwoch, 9.8. Le Crousty zur Île aux Moines

Heute soll es nur ein kurzer Schlag um die Ecke sein. Wir wollen in den Golfe du Morbihan – auf bretonisch „kleines Meer“- der für seine über 60 Inseln, starken Tidenströme und Stromschnellen, die raz, bekannt ist. Nach einem kurzen Landgang in der riesigen Marina gibt es frisches Brot und dank einer neuen Gasflasche auch endlich wieder Espresso. Auf dem Kartentisch liegt die Detailkarte 1:25.000, in der unser netter Nachbar seine Lieblingsplätze und –kurse im Inselgewirr des Binnenmeers markiert hat. Die französische und britische Literatur ist sich einig, dass man am besten kurz vor oder bei HW in Port Navalo in den Golf einläuft, um sich dann mit der Tide bis zum HW in Vannes zwei Stunden später hineinsaugen zu lassen in den Golf. Insbesondere am Eingang und an den Engstellen setzen starke Tidenströme, zur Springzeit sollen es bis zu 8-9 kn sein, aber wir haben genau Nippzeit (Coef. 50) und wenig Wind – also los. Gegen 11 Uhr passieren wir die Pointe de Port Navalo und sofort ändert sich der Charakter der Landschaft. Im Revierführer des Royal Cruising Club, sonst nicht für seinen rhetorischen Überschwang bekannt, steht: „It pays to be a little adventurous if sailing here, but […] you must visit the Morbihan. It is wonderful!” Wir lassen den Flusslauf nach Auray an Backbord und fahren rein ins Archipel. Vorbei an der Île Longue und weiteren kleineren Inseln sehen wir einem halben Dutzend Segelschulen beim Üben zu und begegnen hunderten von Booten – vom Traditionsschiff über stark motorisierte RIBs, Ausflugsdampfer, kleine Fähren bis zu Yachten jeder Bauart. Als wir die Enge südlich der Île Berder passieren, gurgelt und gluckert es rund um unser Boot wie im Kochtopf – und das bei Stillwasser zur Nippzeit! Mit Kurs auf die Île aux Moines kommt nicht so sehr Kloster-, sondern eher Sommerferienstimmung auf. Gegenüber von Port Blanc gehen wir schließlich vor der Westküste der größten Insel an eine Gäste-Mooring, froh darüber, keinen Ärger mehr mit dem Ankerspill befürchten zu müssen.

Der Rest des Tages ist Strandurlaub – der kleine Hafen liegt zwischen dem schnuckeligen Hauptort der Insel und mehreren feinen Stränden. Nach Radtouren und Strandbesuchen gönnen wir uns zum Abendessen eine Flasche Crémant und ziehen dazu etwas von unserem „Schapptüch“ an.

Donnerstag, 10.8. Île aux Moines nach Port Haliguen

An unserem letzten vollen Segeltag wollen wir um früh anfangen und sind um 08:15 Uhr klar zum losmachen. Allein – die Maschine startet nicht! Haben wir die Batterie am Abend zu sehr entladen? Die Servicebatterie zeigt 12,7V Spannung, aber die Starterbatterie tut keinen Mucks. Wir studieren Schaltpläne und telefonieren mit der Charterbasis und mehreren anderen Unterstützern an Land. Schließlich ruft Paul, einer der Techniker von Alternative Sailing zurück. Alle telefonvermittelten Versuche, Strom von der Service- zu Starterbatterie zu lenken bleiben ohne Erfolg. Obwohl die Sonne scheint und es im Cockpit frische Crêpes und Kartenspiele gibt, würden wir doch lieber segeln. Als er schließlich mit dem Motorboot (samt Freundin mit Buch und Badeanzug) kommt, ist auch er zunächst ratlos. Die Batterie ist keineswegs entladen, sondern nur alt – er baut erstmal den Diebstahlschutz aus. Als das nicht hilft, wird der ‚Isolator‘ ausgebaut und ersetzt und bald darauf startet der Motor wieder. Wir bedanken uns, machen noch ein bisschen Strom und verlassen um kurz nach HW den malerischen Golf in Richtung Baie de Quiberon. Nun wird es doch noch ein schöner Segeltag und als der Wind gegen Abend einschläft, gehen wir nach Port Haliguen direkt an die Tankstelle. Gegen 20 Uhr ist alles erledigt und wir gönnen uns ein gediegenes Abschiedsessen am alten Hafen.

Freitag 11.8. Port Haliguen nach La Trinité-sur-mer

Der letzte Tag beginnt mit strömendem Regen und Wind unter 10 kn, aber die gestrige Tankaktion verschafft uns bei der Rückgabe den entscheidenden zeitlichen Vorsprung. Die letzten Amtshandlungen, Boot ausräumen, sauber machen, Autos holen und beladen und die Übergabe finden allesamt bei ergiebigem Starkregen statt. So fällt der Abschied von diesem tollen Revier wenigstens nicht so schwer.

Fazit: Die südliche Bretagne ist ein extrem abwechslungsreiches Revier, das man noch jahrelang weiter erkunden könnte. Die RM 1270 hatte ein paar kleinere Schwachstellen (defektes Bugstrahlruder, Ankerspill), segelte sich aber dank zweier Rollvorsegel mit Backstagen, durchgelattetem Groß und Gennaker mit Bergeschlauch ausgesprochen angenehm. Einzig der Tiefgang von 2,25m macht eine noch genauere Planung erforderlich und begrenzt etwas die Auswahl der möglichen Häfen. Außerdem sind französische Häfen während der Ferienzeit im August extrem voll – wenn möglich macht es Sinn, im Juli oder September in diesem Revier zu segeln. In der Hochsaison hat es sich bewährt, mit der Capitainerie des Zielhafens frühzeitig telefonisch und bei Annäherung kurzfristig noch mal auf UKW (oft Kanal 9) Kontakt aufzunehmen.

Der Unfall mit der Großschot blieb der einzige bedauerliche und für Wiebke schmerzhafte Zwischenfall der Reise und hat uns eindrücklich gezeigt, wie schnell beim Segeln auch bei guten Bedingungen etwas passieren kann. Glücklicherweise haben Ersthilfe, Bergung und medizinische Versorgung reibungslos ineinander gegriffen und Wiebke war schon nach wenigen Tagen wieder vollständig genesen.

Der Törn war durchaus mehr als „nur ein Spaziergang“, wie der Bootsname JUSTE EN BALADE nahelegte. Die Frauencrew im Alter von 22-59 aus drei Berliner Vereinen (und Dresden) hat viele verschiedene Aspekte des Segelns in der südlichen Bretagne erkundet und dabei großartig zusammengearbeitet.

Seekarten: SHOM Cartes marines officielles 1:50.000: 7031: De I‘Ile de Penfret au Plateau des Birvideaux; 7033: De Quiberon au Croisic; 7146: De la Pointe de Penmarc‘h à la Pointe de Trévignon; 7147: Baie d’Audierne; 7148/INT 1831: Du Goulet de Brest à la Chaussée de Sein; 7394: De la Pointe de Saint-Gildas au Goulet de Fromentine – Baie de Bourgneuf; 7395/INT 1840: Du Croisic à Noirmoutier – Estuaire de la Loire; 7402: De Saint-Jean-de-Monts aux Sables-d’Olonne; 7403: Des Sables d’Olonne à l’Ile de Ré; 7404: De la Pointe du Grouin du Cou à la Pointe de Chassiron; 7405: De La Rochelle à l’ Île d’Oléron. Detailkarte 1:20.000 7137: Golfe du Morbihan.

NV Verlag Kartensätze (alle 2023): FR4: Les Sept Isles à Douarnenez; FR5 – Douarnenez à Lorient; FR6: Lorient à l`Île de Noirmoutier; FR7: Îles de Noirmoutier à Oléron. Navionics Central & West Europe

Nautische Literatur: Reeds Nautical Almanach 2023; Bloc Marine 2023: Atlantique; Nick Chavasse, Atlantic France: Cruising Ouessant to the Spanish Border; Ralf Paschold, Törnführer Süd-Bretagne: Französische Atlantikküste von Le Guilvinec bis La Rochelle; Alain Rondeau, Pilote Cotier N°5B: Quiberon-La Rochelle,Gezeitenatlanten: Service hydrographique et océanographique de la marine (SHOM), Courants de Marées Sud Bretagne, ADMIRALTY Tidal Stream Atlas NP265

Apps: Navionics, NV App (nur für Track und Ankeralarm), Navily.

Wetter: Météo France über Internet, App Météo-France und UKW, Windy premium, Meteo consult marine und WetterOnline Wetterradar, Bodendruckkarten: Wassersport-Informationsdienst Berlin (WInD der FU Berlin), DWD Seewetter.

Logbuch-App (wäre noch nützlicher, wenn sie mit den Bordinstrumenten wie Anemometer und Logge verbunden wäre. So werden z.B. Wetterdaten nicht immer zuverlässig aus dem Internet gezogen.)

Gezeiten: Marée Info, Imray Tides Planner mit Lizenz

Orcas: Orcinus

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